Forschung
Die Arbeitsgruppe SoteG verbindet Erkenntnisse aus der Gender- und Diversity-Forschung mit der Analyse und Gestaltung soziotechnischer Systeme. Die nutzungsorientierte Entwicklung von Soft- und Hardware steht dabei im Mittelpunkt.
Soziotechnische Systemgestaltung
Die Gestaltung soziotechnischer Systeme ist ein Forschungsgebiet innerhalb der Informatik, das Informationstechnologie als Teil eines gesellschaftlichen Systems versteht. Das soziale Umfeld und die Technik, die für dieses Umfeld entworfen oder in ihm eingesetzt wird, bilden zusammen ein soziotechnisches System und werden aus diesem Grunde stets in ihrer Wechselwirkung betrachtet. Das gilt für den gesamten Lebenszyklus von Soft- und Hardware: Vom Beginn der Anforderungsanalyse bis zum Einsatz der Technologien stehen das Gesamtsystem und die Bedarfe der Personen, die in ihm agieren, im Fokus der Aufmerksamkeit.
Gender und Diversity
Die Gender- und Diversity-Forschung lenkt den Blick in diesen Prozessen der Systementwicklung auf die Diversität der Anforderungen unterschiedlicher Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern und zeigt Forschungsfelder auf, die bisher weniger Beachtung fanden. Wir verstehen Geschlecht als Produkt gesellschaftlicher Konstruktionsprozesse, die auf unterschiedlichen Ebenen entstehen und wirken. Strukturell wird Geschlecht unter anderem durch Formen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Zugänge zu Ressourcen konstituiert. Auf der individuellen Ebene reproduzieren geschlechtliche Identitäten und der Umgang damit gesellschaftliche Muster im „doing gender“. Symbolisch begegnen uns konstruierte Geschlechter in Stereotypen und entsprechenden medialen Darstellungen. Darüber hinaus bestimmt Geschlecht soziale Wirklichkeit stets im Zusammenspiel mit anderen Kategorien wie z.B. Alter, sexueller Orientierung oder körperlicher Befähigung. Die Diversity-Perspektive ermöglicht es, diese Vielschichtigkeit in den Blick zu nehmen.
Die Gender-Perspektive in der Systemgestaltung
Die Einbeziehung von Erkenntnissen der Gender- und Diversity-Forschung bei der Analyse und Gestaltung soziotechnischer Systeme erlaubt es, ein besonderes Augenmerk auf „unsichtbare Arbeit“ zu legen und sowohl vielfältige Anforderungen als auch konfligierende Interessen aufzudecken. Das Erkennen geleisteter - auch unsichtbarer - Arbeit in einem soziotechnischen System ist Voraussetzung für die Entwicklung von sinnvollen Lösungen zur technischen Unterstützung. Vielfach sind es gerade vermeintlich unwichtige, routiniert durchgeführte Infrastrukturaufgaben, die in den ersten Analysen nicht ins Auge fallen; dies kann zu gravierenden Mängeln bei Neuentwicklungen führen. Ein Gender- und Diversity-sensibler Blick auf unterschätzte Arbeitsbereiche hilft hier, Anforderungen umfassend zu erkennen und in technische Systeme zu integrieren. Auf diese Weise werden aber verstärkt auch Interessenkonflikte unterschiedlicher Akteursgruppen bezüglich des Einsatzes und der Gestaltung von Technologie sichtbar. Diese sollten im Entwicklungsprozess offengelegt, diskutiert und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden.
Methoden und Verfahren
Das in unserer Forschung eingesetzte Methodenrepertoire speist sich aus dem Forschungsbereich Mensch-Computer-Interaktion. User Centered Design und Participatory Design stehen dabei im Vordergrund. Beide Ansätze zeichnen sich dadurch aus, dass sie der Analyse der Anforderungen einen wichtigen Stellenwert zuordnen und zukünftige Nutzer und Nutzerinnen weitreichend in den gesamten Entwicklungsprozess einbeziehen. Neben den Rahmenbedingungen des sozialen Systems sind es vor allem ihre Unterstützungsbedarfe, die erhoben und denen mit den eingesetzten oder geplanten technischen Systemen Rechnung getragen werden soll. Bei der Identifikation der relevanten Personengruppen spielt die Verankerung in der Gender- und Diversityforschung eine wichtige Rolle: Sie ermöglicht, die Vielfalt der beteiligten Personen zu erkennen und VertreterInnen unterschiedlicher Interessen auszumachen. So werden auch MitarbeiterInnen an bisher weniger beachteten Arbeitsplätzen in den Entwicklungsprozess einbezogen. Die Aufmerksamkeit für Geschlechter- und Diversitätsfragen hilft dabei, eine Ausrichtung von technischen Systemen an stereotypen Rollenmustern zu erkennen und zu vermeiden.
Die Informatik als konstruierende Disziplin
Die Analyse bestehender Verhältnisse ist für ingenieurwissenschaftliche Disziplinen wie die Informatik nur ein Teil ihres Aufgabengebietes. Ein zweiter besteht in der Konstruktion technischer Systeme. Dadurch ergibt sich für an Gender- und Diversitytheorien geschulte ForscherInnen eine besondere Problematik: Im Entwicklungsprozess müssen wiederholt Entscheidungen getroffen und Alternativen ausgeschlossen werden. Dabei werden Annahmen festgeschrieben und Anforderungen priorisiert; es entstehen Zuschreibungen, die auch eine Neu- oder Re-Konstruktion von Geschlecht beinhalten können. Genderforschung in der Informatik verfolgt das Ziel, diese Re-Konstruktionen sichtbar zu machen und kritisch zu reflektieren.